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Mit Frankfurter Stereotypen unterhält der Mediengestalter Koray Tokmak unter dem Namen „Kotoon“ Millionen Menschen im Netz. Dabei kämpft er aktiv gegen Alltagsrassismus.
Frankfurt – Der Regionalexpress Nummer drei rollt los und verlässt den Bahnhof Castrop-Rauxel. Koray Tokmak ist auf dem Weg nach Köln für einen neuen Auftrag. Als selbstständiger Mediengestalter ist er das Pendeln gewohnt. Im Vierersitz nebenan reden ein paar Jugendliche lautstark über das Wochenende: „Vallah, mies mit den Jungs Shisha Bar gechillt, du weißt.“ Dann eine Durchsage: Reparatur am Gleis – eine Stunde Verspätung.
Situationen wie diese sind es, die Tokmak immer wieder inspirieren. Unter dem Namen „Kotoon“ veröffentlicht der 25-Jährige Animationen auf Tiktok, Instagram und Youtube. Sein beliebtestes Format „Murat und seine Brüder“ parodiert die Kinderserie „Thomas, die Lokomotive“ und handelt von der Regionalbahn Murat. In deutsch-türkischer Jugendsprache macht sich der Video-Creator über marode Strecken, dreckige Hauptbahnhöfe und hochnäsige ICEs lustig. Auf Tiktok bringt ihm das Millionen Likes und über 700 000 Follower.
Mit Parodien zum Erfolg: TikToker „Kotoon“ hat hunderttausende Fans
Große Hoffnung machte er sich bei seiner ersten Folge nicht. „Aber plötzlich ist das völlig durch die Decke gegangen, damit hätte ich nicht gerechnet“, sagt Tokmak. Andere Kinderserien wie „Spongebob Schwammkopf“ oder „Pokémon“ parodiert er ebenfalls. Was dabei niemals fehlen darf, sind Stereotype von Frankfurter „Assis“: Bauchtasche, Gucci-Gürtel, die Frisur an den Seiten auf null rasiert und der inflationäre Gebrauch des Wortes „Vallah“, was auf Arabisch so viel bedeutet wie „Ich schwöre bei Gott“.
Den Erfolg dieser Stereotype führt Tokmak auf beliebte Frankfurter Straßenumfragen zurück. Die meist auf der Zeil gedrehten Videos generieren regelmäßig hunderttausende Youtube-Klicks. Hier prahlen Teenager mit teurer Markenkleidung, zeigen peinliche Flirtversuche und reden dabei im Frankfurter Slang. Das habe das Image der Stadt im Internet maßgeblich geprägt, meint Tokmak. Klischees sehe er aber in jeder Großstadt – auch in seiner Heimat Castrop-Rauxel: „Bis auf ein paar Sprüche und Witze explizit aus Frankfurt, sind die Jugendlichen hier relativ gleich.“
Gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit: „Kotoon“ macht mehr als simple Parodien
Doch seine Animationen gehen über bloße Parodien hinaus. Sie thematisieren Alltagsrassismus und soziale Ungerechtigkeit. „Ich muss das Klischee nutzen, um bei den Leuten anzuecken, aber ich will ihnen eine andere Seite zeigen“, erklärt Tokmak. „Am Ende der Geschichte ist das Problem die Arroganz der Menschen und nicht die Person mit dem Akzent.“
Die türkische Community freue sich über versteckte Anspielungen, die nicht jeder Deutsche verstehe: „Das überwindet meiner Meinung nach diese Klischees und sagt ’Hey, das sind wir Deutsch-Türken’.“ Auf Kritik geht der Animator gern ein – einen Schlussstrich zieht er aber bei Fremdenhass, der die Stereotype bewusst missverstehen möchte: „Wenn ich merke, dass Leute beleidigen und sarkastisch schreiben ,unsere Goldstücke’ – das lösche ich direkt.“
Tokmak selbst ist Sohn einer türkischen Einwandererfamilie, seine Eltern kommen Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland. Eine Zeit geprägt von Fremdenhass, wie besonders drastisch der Anschlag auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 zeigt. Schon früh werden Tokmak und seine Schwester für diese Themen sensibilisiert und begleiten ihre Eltern auf Demonstrationen. Von Kindesbeinen an wollte Tokmak Filmemacher werden: „Ich habe das damals auch in das Freundebuch meiner Schwester geschrieben“, sagt er.
„Kotoon“ bewahrte Mitschüler aus Afghanistan vor Abschiebung
Ein Schlüsselerlebnis in seiner Schulzeit verstärkte diesen Wunsch: Ein 15-jähriger Geflüchteter an Tokmaks Schule soll nach Afghanistan abgeschoben werden – also schnappt sich Tokmak zwei Mitschüler, eine Kamera und legt los. Sie interviewen den Jungen, stellen ihm Fragen über seine Flucht und seine Pläne hier in Deutschland.
Der Film macht die Runde durch alle Parteien und Ämter im Ort. Das Ergebnis: Der Mitschüler darf bleiben. „Heute sehe ich ihn noch auf der Straße, er erkennt mich auch. Das war eine Ambition, die mich in der Schule vorangetrieben hat“, sagt der 25-Jährige. Für das Filmstudium reicht sein Abiturdurchschnitt allerdings nicht.
Leidenschaft für Animationen schon aus der Schulzeit
Doch die Leidenschaft für animierte Parodien wächst. Als Tokmak spontan eines seiner Videos in einen Gruppenchat schickt, geschieht es: „Plötzlich kamen Leute aus der ganzen Stufe und sagten mir, wie lustig das Video geworden ist. Da hat die Leidenschaft für Animationen angefangen.“
Eine Ausbildung als Mediengestalter folgte. Heute zeichnet Koray Tokmak bis zu 16 Stunden am Tag, um irgendwann komplett von Social Media leben zu können. Bis dahin pendelt er auch weiterhin zwischen den Großstädten zu neuen Jobs – und sammelt dabei Inspiration. (Steven Reeg)